Nicht nur einzelne Organismen weisen in ihrem Aufbau die Prinzipien der Leuchtstruktur auf (
News 1/18), auch Populationen tun dies. Populationen sind eine Gruppe von Individuen derselben Art, die sich durch Interaktionen miteinander verbinden und dabei raumzeitliche Strukturen bilden. Durch Fortpflanzung beispielsweise entstehen Abstammungslinien, baumähnliche Strukturen, die wie die Leuchtstruktur das Prinzip der Polarität der Individuen sowie der zunehmenden Reduktion in Richtung Ursprung enthalten. Räumliche Interaktionsmuster finden wir etwa bei Pflanzen, die Nährstoffe über Pilzmyzel austauschen; bei Ameisen und Termiten, die Nahrung über duftmarkierte Strassen oder durch Gänge transportieren; oder bei Menschen, die Informationen und Dienstleistungen über soziale Netzwerke austauschen. Wie die Leuchtstruktur zeichnen sich solche Interaktionsnetze durch „Knoten“ und „Verbindungen“ aus.
Zu den ältesten Populationen, die leuchtstrukturähnliche Netzwerke bilden, gehören die Korallen. Korallen sind Nesseltiere, die als festsitzender Polyp am Meeresgrund leben und sich von Plankton ernähren. Polypen sind sackförmige Körper mit einem von Tentakel umgebenen Schlund. Korallen gibt es seit rund 500 Mio. Jahren, einige Korallentiere können mehrere tausend Jahre alt werden. Nicht immer, aber häufig leben sie in Kolonien, d.h. in Verbänden von mehreren Polypen. Manche dieser Kolonien bilden Kalkskelette, die sich zu eindrücklichen Riffen entwickeln können (
AIMS 2013; Wisehart u.a. 2012).
Wie die Quallen (
News 1/18) erinnern die runden Polypen in ihrem Aufbau an die Kern-Umkreis-Struktur der Leuchtkugeln: Auf eine äussere Haut (Ektodermis) folgt eine innere Zellschicht (Endodermis), die stützende Gallertmasse (Mesoglea) und schliesslich der Kern, bestehend aus Mund und Magenraum (Gastrodermis, Mesenterien). Beeinflusst durch Wasserbewegung, Licht und biologische Faktoren können Korallen in der Form von Zweigen, Bäumen oder Säulen wachsen, aber auch von Platten, Kugeln oder Pilzen. Die Kern-Umkreis-Strukturen der Polypen, die sich an den Wänden von Zweig-, Baum- oder Säulenstrukturen anordnen, kommen dem Bild der Leuchtkugeln in Leuchtfäden sehr nahe. Bei anderen Korallen liegen die Polypen auf grösseren Flächen und dichter beieinander, so dass hier eher der Eindruck des „Meeres aus Punkten“ (
News 4/10) entsteht. Bei der Hirnkoralle und anderen sog. meandroiden Kolonien haben die Polypen hingegen die Form von Tälern und erinnern an ein Gewirr aus Leuchtfäden ohne sichtbare Leuchtkugeln.
Neben der Form und dem Aufbau teilen Korallen und die Leuchtstruktur auch das Prinzip der Verbundenheit durch Austausch. In der Leuchtstruktur wird der Austausch von Energie etwa da ersichtlich, wo ein ganzer Faden zu leuchten beginnt, obwohl der Seher nicht jede einzelne Kugel im Faden betrachtet und konzentriert hat. Ähnlich sind die einzelnen Polypen durch lebendes Gewebe (Coenosarc oder Coenenchym) miteinander verbunden. Dieses Gewebe besteht aus einem Netzwerk von Kanälen, durch die u.a. Nährstoffe und Informationen zwischen den Polypen und selbst zwischen unterschiedlichen Korallenkolonien ausgetauscht werden (Collins 1978).