Emotionen aus seherischer Sicht
Lebensenergie kann sich durch alle unsere unterschiedlich subtilen Körper ausdrücken. Sie erscheint als physische Bewegung, als Gedanken oder eben als Emotionen. Emotionen gehören zu den Bewegungen unseres Gefühlskörpers. Doch wie die anderen Ausdrucksformen sind auch Emotionen gebundene Energien. Sie sind in ihrer Erscheinung abhängig von unserer Persönlichkeit, unseren Erfahrungen und bestimmten Bewusstseinsinhalten. Somit sind sie Teil unserer Kleinen Welt. Sie verdunkeln die Leuchtstruktur und behindern das Sehen. Wie im Fall der Gedanken oder der sexuellen Energie raten uns die Seher, die gröbere Energie der Emotionen in feinere Energie und schliesslich in reines Bewusstseinslicht umzuwandeln. Wie tun wir das? Inspiriert durch meine Gespräche mit den Sehern, und ergänzt durch die Literatur, habe ich vier Ansätze zusammengestellt: 1) mit Emotionen arbeiten; 2) Emotionen vermeiden; 3) am Gefühlskörper arbeiten; und 4) Emotionen als Energie erkennen. Diese Ansätze ergänzen sich gegenseitig, doch je nach Situation, Interessen und Fähigkeiten kann die eine oder andere Strategie für uns wichtiger oder weniger wichtig sein.
1) Mit Emotionen arbeiten
Um die Kraft der Emotionen in Bewusstheit umzuwandeln, hilft es zunächst, unsere „emotionale Intelligenz“ zu entwickeln. Dieser Begriff ist im Zuge der neurologischen Emotionsforschung seit Ende des 20. Jahrhunderts entstanden. Hier hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass unsere Intelligenz, unser Denken und unser Handeln ebenso sehr von unseren Emotionen abhängen wie von unserem Verstand. Und dass Emotionen damit ebenso wichtig sind wie der Verstand, um individuelle und gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Die einseitige Schulung des Verstandes soll also durch die emotionale Schulung ergänzt werden. Dabei wird oft ein Mittelweg gesucht zwischen Unterdrückung der Emotionen und der affektiven Reaktion: Emotionen sollen nicht unterdrückt werden, weil damit unaufgelöste Themen ins Unbewusste verfrachtet werden könnten, wo sie die Entwicklung psychischer Störungen wie Depressionen oder Phobien begünstigen. Andererseits sollen Emotionen auch nicht einfach im Affekt ausgelebt werden, weil Menschen dann oft verletzend handeln und sich die Fronten verhärten. Es geht also darum, bewusst mit Emotionen zu arbeiten, damit wir uns über sie im Klaren sind, ihre Botschaft verstehen und sie kontrollieren können. Folgende Vorgehensweisen helfen dabei: Emotionen zulassen, wahrnehmen, ableiten, analysieren und positive Emotionen kultivieren.
Emotionen zulassen und wahrnehmen
Was einfach klingt, ist es nicht unbedingt. Denn das bewusste Zulassen und Wahrnehmen von Emotionen üben wir kaum. Hingegen lernen wir, dass bestimmte Emotionen in bestimmter Intensität und in bestimmten Situationen unangebracht sind. Also bewegen wir unsere Aufmerksamkeit weg von ihnen. Wir unterdrücken und überspielen sie. Hier gilt es umzulernen. Wir wenden uns der Emotion bewusst zu und versuchen sie zu benennen. Was genau ist es, das uns schlecht fühlen, unseren Puls rasen oder uns schwitzen lässt? Ist es z.B. Ärger? Scham? Oder Eifersucht? Oder eine Mischung aus all dem? Manchmal wissen wir das sofort, manchmal braucht es vielleicht etwas Zeit, um die Emotion benennen zu können. Doch früher oder später können wir uns selbst z.B. sagen: „Das ist Ärger, ich fühle Ärger“. Bereits diese Einsicht gibt uns ein wenig Kontrolle zurück, und womöglich müssen wir diesen Ärger dann nicht gleich auf eine verletzende Weise ausdrücken. Manchmal allerdings erfordern es die Umstände, dass wir die Emotion erst einmal zurückstellen, um handlungsfähig zu bleiben. Dann aber sollten wir die Übung in einer entspannten Atmosphäre nachholen, uns erneut in die Situation versetzen und z.B. erkennen: „Was ich heute in dieser Situation gefühlt habe, war Scham, ich habe mich geschämt“.
Emotionen ableiten
Manchmal sind Emotionen so heftig, dass wir sie weder bändigen noch zurückstellen können. Um sie nicht auf eine schädliche Weise auszuleben, hilft es, sich für einen Moment zurückzuziehen und sie körperlich und sinnlich abzuleiten. Ein Spaziergang oder einige Körper- und Atemübungen können helfen, von der intensiven Emotion erst einmal runterzukommen. Angenehme Ablenkungen wie Fernsehen, Lesen und Spielen oder die Stimulierung der Sinne beispielsweise durch eine heisse Dusche, ein schmackhaftes Gericht oder Musik bewirken dasselbe. Wichtig ist aber, die Emotionen nicht dauerhaft wegzuschieben, sondern sie so bald als möglich anzuschauen.
Emotionen analysieren
Die Analyse von Emotionen benötigt etwas mehr Raum und Zeit. Sobald wir uns einer Emotion bewusst geworden sind, können wir uns die unten stehenden Fragen stellen, hier wiederum bezogen auf den Ärger. Empfehlenswert ist, die Fragen und Antworten mündlich oder schriftlich auszudrücken – dies hilft bei der Verarbeitung.
- Ich war ärgerlich – aber wie ist es dazu gekommen?
- Was genau hat mich geärgert?
- Warum hat mich das geärgert?
- Wie berechtigt ist dieser Ärger? Wie wahrscheinlich ist es beispielsweise, dass ein unerwünschtes Ereignis eintritt? Oder: Hat er oder sie wirklich aus bösem Willen gehandelt oder war das nur ein Missverständnis?
- Wenn der Ärger berechtigt ist, was müsste für mich anders sein?
- Welche Botschaft hat der Ärger für mich insgesamt?
Es geht also darum, die Zusammenhänge zwischen Auslösern (sog. Triggern), Emotionen, Gedanken und Reaktionen zu erkennen. Auf diese Weise kommen wir unseren emotionalen Mustern auf die Spur: Es sind gleiche oder ähnliche Auslöser, die uns aufgrund bestimmter Erfahrungen immer wieder gleich oder ähnlich emotional reagieren lassen. Wenn wir das Muster erkennen, das gerade abläuft, und uns den Auslösern bewusst sind – den Situationen, Handlungen, Gedanken oder Bildern, die uns in Wut, Angst, Trauer usw. versetzen –, dann haben wir der Emotion schon einiges an Gewicht genommen. Auf diese Weise lernen wir nach und nach, mit starken Emotionen umzugehen. Und wenn wir diese Emotionen rasch verstehen und einordnen können, dann haben wir wiederum mehr Raum für Empathie: Wir können mehr Bewusstsein und Verständnis für die Situation und die Gefühle anderer entwickeln.
Positive Emotionen kultivieren
Negative Emotionen gelten seit jeher als Hindernisse auf dem Weg zum spirituellen Glück.
Für die Buddhisten beispielsweise sind Gier, Hass und Verblendung die Geistesgifte, die uns
im Wiedergeburtenkreislauf gefangen halten. Zusammen mit Stolz, Genusssucht, Masslosigkeit, Neid und Trägheit machen Gier und Hass auch den Grossteil der sog. Todsünden der katholischen Lehre aus, die den Menschen in weite Gottesferne rücken. Folgerichtig sollen negative Emotionen gezügelt und kontrolliert werden (z.B. durch die Analyse, siehe oben). Positive Emotionen wie Freude, Güte, Liebe, Dankbarkeit und Mitgefühl sind dagegen zu kultivieren.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, positive Emotionen zu entwickeln. Im Prinzip sind alle Gedanken, Handlungen und Begegnungen förderlich, die in uns eben jene Emotionen erzeugen. Haben wir negative Emotionen in uns, können wir durch die Analyse versuchen, sie in positive Emotionen umzuwandeln. Beispielsweise hat die verletzende Bemerkung eines Freundes Ärger oder Trauer in uns ausgelöst. In der Analyse wird uns womöglich bewusst, das der Freund gegenwärtig unter grosser Anspannung steht oder aus Angst handelt. So können wir Verständnis und Mitgefühl entwickeln. Oder wir erkennen, dass er nicht die Absicht des Verletzens hatte, sondern einfach Worte wählte, die ein emotionales Muster in uns ausgelöst haben – und wir können Nachsicht und Güte walten lassen
Positive Emotionen können wir auch ohne konkreten Anlass kultivieren. Hilfreich sind diverse Meditationsübungen, wie sie etwa aus der buddhistischen Praxis bekannt sind (z.B. die vier Brahmaviharas: Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut). Beispielsweise können wir Situationen visualisieren, in denen wir Frieden und Freude erfahren. Oder wir visualisieren geliebte Menschen und strahlen Güte und Liebe für sie aus. Oder wir konzentrieren uns auf die Herzgegend, atmen Licht ein und atmen Liebe für uns selbst und für alle Menschen aus. Wie Studien gezeigt haben, fördern Übungen der Achtsamkeit, Meditation sowie Gebete generell positive Emotionen (Yaden 2020). Ein paar Minuten, in denen wir uns
entspannt hinsetzen und auf den Atem oder auf innere Vorgänge achten, genügen bereits, um
uns in eine positivere Stimmung zu versetzen.
(Fortsetzung folgt …)