Beschreibung
Mouches volantes – Glaskörpertrübung oder Bewusstseinslicht? Der Blick auf Religionen lässt vermuten, dass Mouches volantes für viele Menschen eine spirituelle Bedeutung hatten. In diesem Artikel werden Mouches-volantes-Motive im Buddhismus vorgestellt.
Alle haben sie, fast alle sehen sie, und nur wenige schauen hin: die vereinzelten, transparenten und beweglichen Punkte und Fäden im Blickfeld. In der Augenheilkunde werden sie „Mouches volantes“ genannt und als Glaskörpertrübung verstanden. Dieser Artikel basiert auf der seherischen Erfahrung, dass Mouches volantes keine Trübung, sondern eine leuchtende Struktur und ein Ausdruck unseres Bewusstseinszustandes sind. Deshalb nenne ich sie im Folgenden „Leuchtstruktur“ oder „Leuchtkugeln“ und „Leuchtfäden“.
In meiner weiteren Forschung fand ich zahlreiche Hinweise darauf, dass die Kugeln und Fäden der Leuchtstruktur – zusammen mit anderen entoptischen Erscheinungen – bereits von früheren Menschen vieler Kulturen wahrgenommen wurden. Die Vermutung ist, dass frühe Ekstatiker oder Schamanen sie während Praktiken der rituellen Bewusstseinsveränderung gesehen, mythisch oder spirituell gedeutet und künstlerisch ausgedrückt haben. Und dass diese Erscheinungen von da Eingang in die frühen Zivilisationen gefunden haben oder auch immer wieder neu entdeckt wurden. In dieser Artikelreihe entwickle ich diese Idee weiter: Als sich die Religionen als eigene Systeme herauszubilden begannen, wurden auch sie Träger der Leuchtstruktur-Symbolik. Mit dieser These widmet sich der vorliegende Artikel dem Buddhismus.
Im tibetischen Buddhismus des 11. und 12. Jh. verbreiteten sich zwei visionäre Praktiken, die zur
Wahrnehmung und Interpretation entoptischer Erscheinungen beigetragen haben: einerseits der
wochenlange Rückzug in dunkle Räume, andererseits der aufmerksame Blick in den Himmel. Beide bauten auf vorhandenen tantrischen Praktiken auf, so den Visualisierungen von Buddhas, von Mandalas und des subtilen Energiekörpers mit Chakras und Nadis (vgl. Dahl 2009). Beide visionäre Praktiken werden teilweise auch aus älteren buddhistischen Werken wie dem Prajnaparamitasutra (8000-Zeilen-Version, ca. 1. Jh. v. Chr.) abgeleitet oder als „Schätze“ (tib. terma) früherer Meister „wiederentdeckt“ und damit legitimiert. Es waren insbesondere zwei Traditionen, die diese Praktiken intensiv nutzten: die Lehre der „Zeit des Rades“ (skr. kalacakra), die hauptsächlich von den
Kagyü-, Sakya- und Gelug-Schulen gelehrt wird, sowie die „Grosse Perfektion“ (tib. dzogchen), eine Praxis der Nyingma-Schule und der Bön-Religion…