3) Am Gefühlskörper arbeiten
Emotionale Arbeit beginnt nicht erst da, wo wir emotional sind. Und Emotionen sind auch nicht vom Rest des Körpers und Geistes getrennt. Wenn wir uns also handelnd, fühlend und denkend um eine bewusstere Lebensweise bemühen – bei der Ernährung, der Bewegung, dem Konsum generell –, dann bringen wir auch in unser emotionales Erleben mehr Bewusstsein. Manche seherische Übungen sprechen direkt den Gefühlskörper an und eignen sich somit besonders für die emotionale Bewusstseinsbildung. Folgende drei Praktiken können einzeln oder als Abfolge durchgeführt werden:
1) Sitze oder liege ganz entspannt, schliesse die Augen und komme zur Ruhe. Lass alles los, was dich beschäftigt. Gehe bewusst durch deinen Körper und prüfe, ob sich irgendwo noch Anspannungen befinden. Fühle, wie sich jeder einzelne Muskel allmählich entspannt.
2) Wenn du ganz entspannt sitzt oder liegst, fühle dich gezielt in einzelne Partien oder Stellen deines Körpers ein. Lenke deine Bewusstseinsenergie nacheinander in die Zehen, die Füsse, die Beine, das Becken, den Bauch, die Brust, die Rückenpartien, die Schultern, die Arme, die Hände, die Finger, den Hals, das Gesicht, den Kopf und den Scheitel. Wenn du magst, kannst du die Übung mit tiefen Atemzügen kombinieren. Wenn du deinen Körper warm oder prickelnd fühlst, dehne deine Körpergrenzen aus. Stelle dir vor, dein Körper ist der Kern einer Leuchtkugel. Nun fülle deine Kugel mit leuchtender Energie, bis du deine äussersten Grenzen erreichst. Fühle für eine Weile deine runde Form.
3) Wenn du dir deines Körpers und deiner inneren und äusseren Grenzen bewusst bist, werde dir deines inneren Leuchtens gewahr. Dieses Leuchten ist das Licht der Leuchtstruktur, das auf der inneren Leinwand bei geschlossenen Augen zunächst als leuchtende, oft farbige und pulsierende Lichtflecken sichtbar wird – in der Physiologie sind diese Lichtflecken als „Phosphene“ bekannt (vgl. das Diagramm über subjektive entoptische Phänomene). Wenn du dieses Leuchten nicht deutlich genug siehst, kannst du dir mit Nachbildern helfen: Öffne die Augen und blicke für einen Moment auf eine Lichtquelle (Kerze, Glühbirne, Sonne, reflektiertes Sonnenlicht), dann schliesse die Augen und beobachte das Nachbild, bis es verglüht ist. Wenn sich anstelle des Nachbildes jetzt das innere Leuchten zeigt, verweile bei diesem. Falls nicht, erzeuge erneut das Nachbild.
Wir üben uns also im Loslassen, in der Stärkung eigener Grenzen sowie in der wachen Präsenz. Dies sind Prozesse, die auch durch die grundlegenden Emotionen der Trauer, der Wut und der Angst eingeleitet werden (vgl. McLauren 2010). Die erste beschriebene Übung beispielsweise ist eine Entspannungsübung. Wir lassen los – körperlich wie gedanklich – um den Gefühlskörper zu fühlen. Dieses Loslassen ist zugleich das Thema der Trauer: Trauer hilft uns, anzunehmen, was wir nicht ändern können und loszulassen, was wir verloren haben. Bei der zweiten Übung geht es darum, mit dem Einfühlen in unsere Körper unsere Grenzen zu spüren. Wir spüren die Grenzen des physischen Körpers, dehnen sie aus und erschaffen einen sicheren Raum um uns herum. So stärken wir unsere Grenzen, was uns wiederum schützt. Dasselbe passiert auch durch die Wut: Wut lässt sich als Reaktion auf eine Grenzverletzung begreifen – wir versuchen, unsere Grenzen wiederherzustellen. Die dritte Übung schliesslich, das Sehen des inneren Lichts, ist eine Übung der Konzentration und der wachen Präsenz. In genau diesen Zustand führt uns die Angst: Sie schärft unsere Sinne und unsere Aufmerksamkeit, um eine potentiell bedrohliche Situation rasch zu erfassen und darauf reagieren zu können.
Wenn wir also am Gefühlskörper arbeiten, dann verrichten wir emotionale Arbeit, ohne direkt mit Emotionen konfrontiert zu sein. Wir kanalisieren die Energie der Trauer, der Wut und der Angst. Anstatt diese Energie als Treibstoff für den Überlebenskampf zu nutzen, leiten wir sie nach innen, um unsere Bewusstseinsintensität zu steigern.