Thema des neuen Buches sind wieder die Gespräche zwischen Floco, Nestor und den Seherinnen und Sehern der „linken Seite der Emme“. Erstmals begegnet Floco aber auch anderen Schülerinnen und Schülern, die das Sehen lernen. Im Mittelpunkt der Gespräche und Begegnungen steht das ganzheitliche Sehen der transparenten fliegenden Punkte und Fäden im Blickfeld, den so genannten „Mouches volantes“. Erforscht und beschrieben werden sie als Konzentrationsgegenstand für die Meditation mit offenen Augen; als leuchtende Bewusstseinsstruktur, in welcher wir einen Weg zu unserem Ursprung zurücklegen; sowie als Ursache von Erscheinungen in Natur und Kultur.
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Die für die Leuchtstruktur typische Kern-Umkreis-Struktur zeigt sich einerseits im Querschnitt der Mikrotubuli-Röhren, andererseits im Querschnitt der grösseren Strukturen, zu denen sich die Mikrotubuli zusammenlagern: Die so genannten Zentriolen beispielsweise sind Röhren aus neun Bündel von je drei Tubuli; bei Axonemen wiederum umgeben neun Doppeltubuli zwei Tubuli im Zentrum. Mikrotubuli sind also nicht einfach ein Gewirr aus Fäden, sondern eine geordnete Struktur – dasselbe wird beim Sehen der Leuchtstruktur in intensiven Bewusstseinszuständen ersichtlich. In beiden Fällen entsteht diese geordnete Struktur aus einem Anfangspunkt oder Zentrum. Die Seher nennen dieses Zentrum „Quelle“, die Biologen sprechen vom „Zentrosom“, das der Ausgangspunkt einer grossen Zahl von Mikrotubuli ist.
Die Seher sehen die Leuchtstruktur als ein Netz aus Röhren, durch die Bewusstseinslicht fliesst. Unser Bewusstsein ist eine Folge dieses Lichtflusses und hängt von unserer Entfernung von der Quelle und damit von der Stärke des Lichts ab. Neuere Studien legen nahe, dass Mikrotubuli eine ähnliche Funktion haben könnten. So wird vermutet, dass sie eine wesentliche Rolle bei der neuronalen Signalweiterleitung spielen. Demnach sind die Mikrotubuli selbst eine Art zelluläres Nervensystem, das beispielsweise durch die Zustandsveränderung des Tubulin Signale überträgt (Dent/Baas 2014). Andere Studien gehen weiter und postulieren, dass sich in Mikrotubuli auch Biophoton- bzw. Lichtquantenprozesse abspielen. So sollen Mikrotubuli etwa imstande sein, in ihrem Inneren inkohärente (z.B. thermische, elektromagnetische u.a.) Energie in kohärente Energie bzw. Photonen zu transformieren (Rahnama u.a. 2011; Jibu u.a. 1994). Mikrotubuli könnten also nicht nur elektro-chemische, sondern auch optische Signalleitungen, also Lichtröhren sein.
Stuart Hameroff und Roger Penrose verbinden diese Quanteneffekte – in erster Linie in Hirnnervenzellen, aber prinzipiell in jeder Zelle jedes Lebewesens – mit Bewusstsein. Dieser Theorie gemäss ist Bewusstsein nicht an Lebewesen gebunden, sondern es entsteht jederzeit und überall im Universum. Dies geschieht durch den quantenmechanischen Kollaps der Wellenfunktion, d.h. durch den Übergang der Gleichzeitigkeit diverser Systemzustände (Superposition) zu einem einzigen Zustand (Eigenzustand). Im Gegensatz zur Kopenhagener Deutung wird dieser Kollaps nicht durch Bewusstsein (z.B. bewusste Beobachtung oder Messung) herbeigeführt. Sondern umgekehrt, der spontane Kollaps erzeugt Bewusstsein. Die Mikrotubuli funktionieren dabei als eine Art Quantencomputer, die diese Vibrationen „orchestrieren“ bzw. in eine Form übersetzen, die wir Menschen als unser Bewusstsein erfahren können (Hameroff/Penrose 2014; Hameroff 1994).
Diese mittlerweile über 20-jährige Theorie ist unter Physikern wie Biologen stark umstritten und bleibt bis heute lediglich eine Möglichkeit. Aus einer seherischen Perspektive jedoch sind die Mikrotubuli als „Lichtröhren des Bewusstseins“ ein sehr stimmiges physikalisches Abbild – und vielleicht sogar eine physikalische Entsprechung – der Leuchtstruktur.
Jedes von Ravinders Bildern ist das Resultat eines mehrstufigen Prozesses: Zuerst konzentriert sich der Künstler auf seine Leuchtstruktur. Von dem, was er sieht, lässt er sich inspirieren. Dann fertigt er eine Skizze davon an. Vor seinem inneren Auge werden die Leuchtkugeln und Leuchtfäden zu natürlichen Gegenständen und Lebewesen. Diese zeichnet er schliesslich. Auf diese Weise entstehen surreale Landschaften mit mikroskopischen Lebewesen wie Einzellern, urzeitlich anmutenden Wesen aus dem Tier- und Pflanzenreich, sowie makroskopischen Himmelskörpern. Kunst, Naturwissenschaft und Spiritualität werden in Ravinders Bildern durch das Sehen der Leuchtstruktur vereint.
Danke, Ravinder, für deine Bilder!
Es ist eine Sache, auf die Leuchtstruktur zu schauen, aber eine ganz andere, sie zu sehen. In der Meditation mit offenen Augen bedeutet sehen nicht einfach die visuelle Wahrnehmung der Leuchtstruktur. Sehen ist vielmehr die ausschliessliche und ununterbrochene Wahrnehmung der Kugeln und Fäden während einer längeren Zeitspanne. Je intensiver der Bewusstseinszustand und stärker die Konzentration, desto eher gelingt dies. Starke Konzentration verhindert das gedankliche und träumerische Abschweifen und erlaubt es, die Kugeln und Fäden „festzuhalten“. Unser Lebensstil (vgl. News 1/16), aber auch die Tageszeit und die Umgebung des Sehens (News 2/16) können unsere Konzentrationsfähigkeit beeinflussen. Konzentration ist aber eine Übungssache und wird zunehmen, je regelmässiger und länger wir das Sehen der Leuchtstruktur praktizieren.
Doch kurzfristig – nämlich vor und zwischen dem Sehen – eignen sich konzentrationsfördernde Massnahmen. Unter den entsprechenden Praktiken der Seher lassen sich zwei Herangehensweisen unterschieden: die Steigerung der Aufmerksamkeit und die Steigerung der Intensität. Aufmerksamkeit bedeutet das „Aufmerken“ oder Gewahrwerden dessen, was auf der „inneren“ oder „äusseren Leinwand“ passiert, ohne sich darauf zu konzentrieren. Aufmerksamkeit kann bewusste Sinneswahrnehmung bedeuten – wie klingt die Umgebung gerade jetzt, wie riecht sie, wie fühlt sich der Körper an? –, aber auch die Beobachtung des Atems oder das Einfühlen in diverse Körperpartien.
Die Steigerung der Intensität bzw. des psychophysischen Energieumsatzes lässt sich beispielsweise durch Körperbewegungen vor dem Sehen herbeiführen – vom Spaziergang, über mit Atemübungen kombinierte Dehnübungen bis zu den Aufwärmübungen für das Sehen (News 1/17). Atemübungen eignen sich, um den Energiefluss auch zwischendurch und in der gewählten Position des Sehens (News 1/18) anzuregen.
Die Übungen zur Aufmerksamkeitssteigerung haben meditativen Charakter und eignen sich besonders bei bereits erhöhtem Energieumsatz. Die Steigerung der Intensität ist eine ekstatische Herangehensweise und liefert die Kraft, die die vertiefte Konzentration benötigt. Sowohl die Übungen zur Steigerung der Aufmerksamkeit wie jene zur Steigerung der Intensität vertiefen die Konzentration. Sie alle beruhigen den Gedankenfluss und fokussieren auf das Hier und Jetzt.
- Tausin, Floco (2010): Mouches Volantes - Die Leuchtstruktur des Bewusstseins. Bern: Leuchtstruktur Verlag